Junge.Kirche 4/2002

 

In subtropischen Regionen kann es regnen, dass die Straßen zu Flüssen werden und die Wäsche kaum mehr trocknet. Während eines Seminars in Costa Rica ging es jeden Mittag los: Der Himmel verdunkelte sich, das Wasser pladderte mit Macht auf die Dächer. Dabei sagte eine Teilnehmerin, eine Indigena aus Guatemala, ohne ihre Rede über die Frauenarbeit in ihrer Kirche zu unterbrechen: „Wir müssen lernen, dieses Leben zu lieben, wie wir diesen Regen lieben...“ Sie sprach diesen Satz mit einer Selbstverständlichkeit, die mir den kulturellen Abstand zwischen uns deutlich machte. Den Regen lieben?

Zurück in Europa notiere ich zu unserem Umgang mit Wasser: Wasserspartasten sind mittlerweile weit verbreitet. Viele Bürger sparen so Wasser, um Geld zu sparen – und verbrauchen im Urlaub so viel gutes Trinkwasser, dass die Insel Mallorca es vom Festland importieren muss. Das aber hat den Urlaub dort nicht unbezahlbar gemacht. Billiges Wasser?

Ist unsere Beziehung zum Wasser gestört? Wie wichtig ist für eine ökologische und sozial gerechte Politik das Bewusstsein, dass Leben im und durch das Wasser entsteht? Sogleich tauchen auch Gedanken und Erfahrungen über die lebensbedrohliche Macht des Wassers auf. Die Kraft des Wassers entfaltet deshalb auch religiöse Kraft. Auf diesen beiden Linien, der religiösen und der politischen, bewegen sich die Beiträge dieses Heftes.

Erhard Gerstenberger geht Bedeutungen des Wassers in der Bibel nach. Sie hat viel mehr zu bieten als Sintflut und Chaos: Heilung, Segen, Visionen einer fruchtbaren Stadtlandschaft. Viele Religionen feiern Wasserfeste. Rituale verbinden die Eigenschaften des Wassers mit den Menschen, die sie begehen, berichtet Petra Gaidetzka. Sybille Fritsch-Oppermann nähert sich in ihrer Meditation einer theologischen Interpretation der Taufe von der Bedeutung des Wassers her. Hans-Jürgen Benedikt erinnert an die Hamburger Sturmflut 1962 und wie einige Prediger dabei schlechten Trost spendeten. Al Imfeld beleuchtet in seiner ironischen Erzählung „Evian“ den Fetischcharakter zivilisatorischer Errungenschaften. Ein Missionar wird entlarvt, einem Aberglauben anzuhängen, den eine Afrikanerin klug zu nutzen weiß.

Und die Politik des Wassers? Auch sie hat Schattenseiten und lichte Gegenakzente: Frank Kürschner-Pelkmann zeigt auf, wie staatliche Politik die Lebensgrundlage Wasser der Privatwirtschaft übereignet, mit schlimmen Folgen für die enteignete Bevölkerung. Analysen zu Staudammprojekten von Heike Drillisch und Beate Bahnert lassen ökologische, soziale und machtpolitische Folgen sichtbar werden. Die Enquete-Kommission „Globalisierung“ des Bundestages unterstreicht mit den Eckpunkten einer globalen Wasserpolitik ihre Brisanz für das Zusammenleben auf dem Erdball.

Die Erde ist zu zwei Dritteln mit Wasser bedeckt. Warum reicht es dennoch nicht, um alle, die durstig sind, umsonst zu tränken (Jes 55, 1), alles Land zu feuchten und zu einem bewässerten Garten zu machen (Gen 2, 6.10)? Dieses Heft Junge.Kirche ist weit davon entfernt, das Thema Wasser auszuschöpfen. Wir hoffen dennoch, Sie zum Weiterfragen zu verleiten.

Sie finden in diesem Heft außerdem eine sozialgeschichtliche Bibelauslegung und Erinnerungen an unsere kürzlich verstorbenen langjährigen Mitarbeiter Michael Benckert und Friedrich-Wilhelm Marquardt; von ihm haben wir auch eine Predigt ins Heft aufgenommen. Heino Falcke ist aus gesundheitlichen Gründen aus dem Kreis unserer Herausgeber ausgeschieden. Wir möchten ihm für seine langjährige, immer konstruktive Mitarbeit an der Junge.Kirche sehr herzlich danken.

Unsere Glückwünsche gehen nach Leer, wo Theodor Immer am 29. Juli seinen 80. Geburtstag gefeiert hat. Die Junge.Kirche hat ihm viel zu verdanken.

Mit herzlichen Grüßen aus Hamburg
Sabine Plonz