Junge.Kirche 2/2002

 

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

„Glauben muss nicht sein, Lesen schon“, titelte die ZEIT zu Ostern. Das meinten wir nicht, als wir uns vornahmen, Beiträge zum Thema „Bibel lesen“ für die Junge.Kirche zusammenzustellen. Eher bewegte uns die Hoffnung, die das Bild zum genannten Titel auszudrücken scheint: Auf eine lesende Maria fliegt die Taube zu... „Was ist die Freude meiner theologischen Existenz? Dieses: Zugang finden... und Vertrauen fassen in den biblischen Text“, das erzählte der niederländische Exeget Frans Breukelman (1916–1993) oft. Er verkörperte das Glück darüber, dass er seiner liberalen und depressiven Prägung entkommen und, vermittelt über die Barthsche Dogmatik, in die Bibel eintauchen konnte. Das hat manche angesteckt, auch mich.

Andererseits ist in den letzten Jahrzehnten deutlich geworden, dass eine gewisse Distanzierung von der Schrift auch heilsam sein kann, wenn wir sie neu und verantwortet erschließen wollen. Eine Grundaufgabe ist es hier, die Auslegung der Bibel so zu fassen, dass sie in der Gegenwart von Jüdinnen und Juden geschehen kann, gerade wegen des Fehlens so vieler jüdischer Menschen in Deutschland. Dann gehört die Bibel, besonders die hebräische, nicht mehr mir, nicht mehr der christlichen Kirche. Ich lerne, als Fremde aus den Völkern Zugang zu suchen. In der feministischen Exegese geschieht Distanzierung über die „Hermeneutik des Verdachts“, die, neuerdings durch die Gender-Theorien verschärft, patriarchale Sprache und Muster in der Bibel und ihren Übersetzungen aufdeckt.

In dieses Heft der Junge.Kirche haben wir Beiträge aufgenommen, die auf aktuelle Auseinandersetzungen und Projekte eingehen. Jürgen Ebach hat bei der EKD-Synode die biblischen Grenzen umrissen, die Menschen gesetzt sind.

Weiterhin hat sich in diesem Heft ein Schwerpunkt zu Bibelübersetzungen ergeben, in die hermeneutische Vorentscheidungen, wie sie oben angedeutet sind, massiv eingehen. Fragen sind hier etwa: Was ist eine „gerechte“ Bibelübersetzung (Martin Leutzsch), warum brauchen wir ein Projekt einer solchen Bibelausgabe (Interview mit Hanne Köhler) und: Warum sollte der Gottesname nicht mit „Herr“ übersetzt werden? (Interview zur niederländischen Protestaktion mit Anneke de Vries und Manuela Kalsky). Volkmar Deile analysiert die ökumenische Kältewelle zwischen EKD und Bischofskonferenz, die nun auch über den Gebrauch von Luther- oder Einheitsübersetzung eine fragwürdige Identitätspolitik betreiben. Die Herausgabe einer Kinderbibel, von der Diana Klöpper, Kerstin Schiffner und Johannes Taschner berichten, ist eine Form der Übersetzungsarbeit, die sehr prägend wirken kann.

Ein kleiner Schwerpunkt zu Brasilien dokumentiert mit einem Text von Nancy Cardoso Pereira die neue feministische Hermeneutik des Körpers. In einem Interview berichtet Regene Lamb, wie solche theoretischen Themen im Alltag einer befreiungstheologisch orientierten Gemeindepfarrerin im Amazonasgebiet umgesetzt werden. Darauf, dass im Alltag ihrer Gemeinde in Büttelborn Entscheidendes doch aus der Bibel sein muss, geht Christiane Dannemann ein.

Einen Blick auf 30 Jahre linke Bibelauslegung wirft Matthias Ahrens aus der Sicht eines Beteiligten. Seine These ist, dass der vormals eher an den Realien orientierte Ansatz der Sozialgeschichte zunehmend durch die Beschäftigung mit der Bibel als literarischem Zusammenhang ersetzt wird. Welche Konsequenzen das hat, wäre eine spannende Frage, die wir gerne weiter debattieren möchten.

Das nächste Heft der Junge.Kirche wird wieder stärker auf ein politisches Thema eingehen: die friedensethische Debatte.

Viel Freude beim Lesen dieses Heftes und – immer noch – der Bibel wünscht
Silvia Wagner