Junge.Kirche 1/2000

 

Die Milleniumsspektakel hielten bei weitem nicht, was sich viele Menschen von ihnen versprochen hatten. Weder waren die Feuerwerke so einmalig unvergesslich, daß noch spätere Generationen davon reden werden, noch traten die mit einer geheimen Lust an der Apokalypse prognostizierten Computerprobleme auf mit ihren fatalen Folgen für das öffentliche Leben.

Es war eigentlich trotz des Medienrummels ein Jahreswechsel wie andere auch, mit mehr festlichem Aufwand und Geknalle als sonst. Das, was man sich vom eigenen und der Nächsten Wohlergehen abgesehen vielleicht am ehesten wünschte, etwa die Beendigung des Mordens in Tschetschenien oder das feierliche Versprechen eines vollständigen Schuldenerlasses in der Silvesteransprache eines Regierungschefs, das trat – natürlich? – nicht ein. Immerhin gilt ab 1.1.2000 das neue Einbürgerungsrecht.

Also: Im Westen nichts Neues und aus dem Osten – kein Licht! Beginnt also wieder der bekannte Kreislauf des Alltäglichen mit seinem Wechsel von Beruf und Freizeit, von Konkurrenz und Erholung, mit der Routine, die die Leere durch permanente Unterhaltung vergessen machen soll? Nein, sagt Hannah Arendt in Vita Activa, solange Menschen geboren werden, gibt es das „Wunder“ des „Neuanfangs, den sie handelnd verwirklichen können kraft ihres Geborenseins“. Das war auch dieses Jahr die Botschaft des Weihnachtsfestes: als Erinnerung an das Geborensein (Natalität) als Voraussetzung des Handelns. „Uns ist ein Kind geboren“ heißt: „Wir können neu anfangen“, wir können handeln auf der Basis von Glaube und Hoffnung.

Davon zu berichten, wie Menschen immer wieder neu anfangen, wie sie im Namen Christi die Hoffnung auf eine Welt des Friedens und der Gerechtigkeit nicht aufgeben – das ist seit je die Leitlinie der Redaktionsarbeit in der Junge.Kirche gewesen, und daran wird sich auch im neuen Jahrhundert nichts ändern.

Die Beträge des ersten Heftes im Jahr 2000 machen Mut, weil sie aus der Perspektive von unten das Veränderbare im scheinbar Unaufbrechbaren aufspüren. Irmgard Nauck berichtet von einer Studienreise nach Brasilien, wie Befreiungstheologie in kleinen Projekten ihre Verheißungen einlöst, etwa in dem Kräutergarten der Clesi, der mit seinen Heilpflanzen ein erster kleiner Schritt zu einem neuen Gesundheitssystem in der Basisgemeinde von Erval Seco ist. Aus Brasilien ins „Rentnerparadies“ BRD: Wie können ältere Menschen im Alter neues Leben entdekken?, fragt Hanna Habermann, das mehr ist als die Erfüllung langgehegter Reisewünsche und die fortgesetzte Teilhabe an der Konsumgesellschaft: zum Beispiel in der Mitarbeit in sozialen Projekten so wie die Autorin, die sich in der Kampagne „Saubere Kleidung“ engagiert. Vor allem von Frauen ist in den von Frauen geschriebenen Beiträgen dieses Heftes die Rede. Wen wundert es, denn das 20. Jahrhundert war in seiner 2. Hälfte das Jahrhundert der Frau. Frauen haben sich den Zugang zu allen gesellschaftlichen Institutionen erkämpft. Trotzdem – der von Männern dominierte globalisierte Kapitalismus ist scheinbar ungebrochen ins 21. Jahrhundert gelangt.

Ulrike Wagener weist darauf hin, daß die notwendige Gesellschaftsveränderung vor allem eine Frage der Aushandlung neuer gelingender Beziehungen im öffentlichen und wirtschaftlichen Leben sein wird. Eine Predigt zur Jahreslosung 2000 von Carolin Winter schließlich geht der Frage nach, welchen Gott wir denn suchen sollen. Mir fällt dazu die schöne Geschichte von den Versteck spielenden Kindern ein: Eines der Kinder kommt zum Großvater und weint. Was ist denn passiert? Ich habe mich versteckt, und keiner hat mich gesucht. Siehst du, so geht es Gott oft mit seinen Menschenkindern! – Und ich könnte ergänzen: So geht es auch der Junge.Kirche mit ihren potentiellen Lesern; sie wird zu wenig gesucht, sprich abonniert. Halten Sie, liebe Leserinnen und Leser, uns auf unserer Pilgerfahrt im heiligen Jahr 2000 die Treue.

Mit guten Wünschen zum neuen Jahr grüßt aus Hamburg
Hans-Jürgen Benedict